Leonardo Gerig

Foto: Yvonne Böhler

Leonardo Gerig und Andrea Paganini

Leben und Werk

Geboren am 7. März 1941 in St.Maria. Aufgewachsen im Bergell. Lehrerseminar in Chur, danach Studium der Romanistik (Italienisch und Französisch) und der vergleichenden Literaturwissenschaft an den Universitäten Zürich, Florenz und Genf, mit Lizenziat 1972. Mittelschullehrer für Italienisch und Französisch in Zürich, Baden und Chur. Von 1974-2006 Professor an der Kantonsschule Chur für Italienisch und Französisch. Mitarbeiter der «Quaderni grigionitaliani». Übersetzertätigkeit. Mitgliedschaft in verschiedenen kulturellen kantonalen und schweizerischen Kommissionen. Leonardo Gerigs Lyrik erschien bisher in zahlreichen Anthologien und Zeitschriften. Seine Bilder wurden in einer umfassenden Ausstellung im Jahre 2003 in San Bernardino gezeigt. Leonardo Gerig arbeitete und lebte in Lugano, wo er am 22. Dezember 2020 nach langem Leiden verstarb.

 

 

Leonardo Gerig
Sono corvi, visti da lontano / Raben, in der Ferne
Poesie / Gedichte
Italiano / Deutsch
Bilder von Leonardo Gerig
Deutsch und mit einem Nachwort von Mevina Puorger
editionmevinapuorger Zürich 2010

 

 

 


Textbeispiel

Villaggio

Dei tetti il grigio
si perde nel verde fiorito
sui colli
quando l'ultima macchia
ad un tempo vermiglia e nascosta
nel cielo di vetro sommerge.

Si apre una via
il vivido pulviscolo
di campo
nelle ombre precoci.

Cela la notte
e confonde.

 

 

Dorf

Das Grau der Dächer
verwebt sich im blühenden
Grün und im Bühl, ein
äusserstes Rot -
einmal versteckt
versinkt in einem gläsernen Himmel.

Die Staubwolke
bahnt sich einen Weg
im Acker durch
vorzeitige Schatten.

Verhüllend
verschmelzende Nacht.


in: Leonardo Gerig
Sono corvi, visti da lontano / Raben, in der Ferne
Deutsch von Mevina Puorger

 


Die Raben Leonardo Gerigs sind nun verstummt

 

In einem der eindringlichsten Gedichte des Wahlbergellers Leonardo Gerig beschreibt der Dichter das faszinierende Spiel der Raben, die er jeweils auf seinem Weg zur Kantonsschule Chur beobachtete. Der Leser wird in eine Winterlandschaft eingetaucht: hungrige Raben sind in bewohntes Gebiet geflogen, gleiten über die kahlen Weinreben des Bistums, heben sich am alten Gemäuer des Sennhofs ab. Leonardo Gerig ist von diesem konkreten Bild ausgegangen, um sein Gedicht zu skizzieren. Die metaphorische und tiefere Bedeutung vom Raben im fallenden und steigenden Flug über vereisten Gassen und leeren Bäumen, will er bewusst dem Leser überlassen.

 

            Leonardo Gerig ist am 7. März 1941 im Münstertal geboren und wuchs im Bergell zweisprachig auf. Sein Romanistikstudium absolvierte er an den Universitäten Zürich, Florenz und Genf. An der Kantonsschule Chur unterrichtete er von 1974  bis zu seiner Pensionierung 2006 die italienischsprachigen Schüler des Grigionitaliano unterrichtet.

 

            Leonardo Gerig fiel durch sein edles Auftreten auf: wenn dieser Professor in seiner dunkelgrünen Alfetta – oder war es ein Lancia ? - die Sennhofstrasse herauffuhr, fielen viele bewundernde Mädchenblicke in das Auto mit den hellen Lederpolstern.

 

            Ich habe Leonardo Gerig über Remo Fasani, der mir einen Reihe Autoren der Valli, so auch Gerig für die Lyrikanthologie Sbrinzlas-Funken-Scintille vorgeschlagen hat, kennenlernen dürfen. - Inzwischen war Leonardo Gerig pensioniert und lebte wieder im italienischen Sprachraum, nun in der Nähe von Lugano. In sein geliebtes Bergell sind wir im Sommer 2010 für eine Lesung gefahren, nachdem wir uns im Jahr davor oft in seinem bezaubernden Haus ob Lugano für die Arbeit an der Herausgabe des Gedichtbandes‚ ‘Sono corvi, visti da lontani / Raben in der Ferne’ getroffen hatten. Dem Gedichtband haben wir einige der wunderschönen Bilder Leonardo Gerigs beigefügt; diese gewähren dem Leser einen Einblick in das Werk des vielseitigen Künstlers. Helles Grün, verschiedene Grüntöne und dunkles Blau, verschiedene Blautöne, sie fliessen in weiten Ebenen und Berglandschaften ineinander. Es sind fast ausnahmslos Bilder ohne Spuren der Zivilisation. Ohne Mensch, ohne Tier, baumlos: nur das Lebendige von Wasser und Luft im künstlerischen Blick.

 

            Maler und Dichter sind dem Leitmotiv treu geblieben: in Wort und Bild wird die Essenz gesucht; im Nachdenken über Sein und Vergehen, im stillen Betrachten aus der Ferne nur Wesentliches ausgedrückt. Auch in Melancholie über Gewesenes und leiser Freude über Gegenwärtiges.

 

            Am 22. Dezember, kurz vor Weihnachten 2020 und wenige Monate vor seinem achtzigsten Geburtstag, ist Leonardo Gerig nach langem Leiden in der Nähe von Lugano gestorben.

 

            Seine Gedanken über das Unfassbare im Vogelflug der Raben einer Winterlandschaft: sie bleiben uns erhalten und lassen die Erinnerung an den grossgewachsenen Gentleman nicht verblassen.

(Mevina Puorger, Südostschweiz, 16.1.2021)

 

 

 

Download
Leonardo Gerig - Il blau ed il verd dals lais en Engiadina
Intervista al RTR cun MP, moderatura Esther Krättli, Ura culturala -23-1-21
Intervista cun Esther Krättli davart Le
MP3 Audio Datei 11.2 MB

Leonardo Gerig
Sono corvi, visti da lontano / Raben, in der Ferne
Poesie / Gedichte
Italiano / Deutsch
Bilder von Leonardo Gerig
Deutsch und mit einem Nachwort von Mevina Puorger
editionmevinapuorger Zürich 2010

 

79 Seiten, broschiert

zu beziehen

editionmevinapuorger